Schmerzen im Alter: Oft übersehen, aber gut behandelbar

21. Österreichische Schmerzwochen: Die Schmerzen älterer Menschen werden oft nicht ausreichend erkannt und bleiben unterbehandelt. Das muss aber nicht so sein. Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) setzt sich nachdrücklich für schmerztherapeutische Maßnahmen ein, die die Besonderheiten älterer und hochbetagter Patienti*nnen berücksichtigen.

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Mit zunehmendem Alter leiden Menschen häufiger an Schmerzen. Untersuchungen zeigen, dass zwischen 26 bis 76 Prozent der älteren Patient*innen über chronische Schmerzen klagen, in Pflegeheimen sind es sogar bis zu 93 Prozent. Chronische Schmerzen im höheren Lebensalter werden jedoch seltener angemessen behandelt als bei Jüngeren.

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„Unzureichend behandelte Schmerzen im Alter sind ein absolutes No-Go. Eine adäquate Schmerztherapie ist für ältere Patient*innen sehr wichtig, damit sie so lange wie möglich selbstständig im Alltag zurechtkommen und nicht auf fremde Hilfe oder Pflege angewiesen sind“, sagt ÖSG-Präsidentin OÄ Dr. Waltraud Stromer anlässlich der 21. Österreichischen Schmerzwochen der ÖSG.

Für eine gute Schmerzbehandlung ist es unumgänglich, dass die Betroffenen dem Pflegepersonal und den behandelnden Ärzt*innen mitteilen, dass sie Schmerzen haben. „Leider halten es viele Betroffene für normal, im Alter Schmerzen zu haben. Alte Menschen sagen weniger spontan als jüngere, dass es weh tut“, bedauert Dr. Stromer. Regelmäßige Schmerzscreenings bei Arztbesuchen und in Pflegeheime sollten daher Standard sein.

Besonderheiten älterer Menschen beachten

Es ist ein Irrglaube, dass das Schmerzempfinden bei älteren Patient*innen nicht mehr so intensiv ist. Im Alter nimmt zwar die Nervenleitgeschwindigkeit ab, gleichzeitig reduziert sich aber auch die endogene Schmerzhemmung im zentralen Nervensystem. Die Schmerzempfindsamkeit bleibt daher gleich, ältere Menschen brauchen zumeist jedoch weniger Schmerzmittel zur Linderung.

Mit dem Alter kommt es zu Veränderungen biophysikalischer Funktionen: Die Magenentleerung verzögert sich, die Nierenfunktion wird vermindert, das Herz hat eine geringere Pumpleistung, Körperwasser wird weniger, der Körperfettanteil mehr, die Sensitivität des Zentralnervensystems erhöht sich. „All das ist bei der Verordnung von Schmerzmedikamenten gewissenhaft zu berücksichtigen“, sagt die Expertin. So müssen etwa bestimmte Medikamente an die Nierenfunktion angepasst werden. „Ältere Personen leiden häufig nicht nur unter Schmerzen, sondern haben eine Vielzahl von Symptomen und Erkrankungen. Schmerzmedikamente müssen daher sorgfältig mit den bereits verordneten Medikamenten abgestimmt werden. Es gilt immer Nutzen und Risiko abzuwägen“, erklärt Dr. Stromer.

Medikamente kurz und niedrig dosiert verabreichen

Medikamente sollten nur über kurze Zeit und in möglichst niedriger Dosierung verabreicht werden – aber doch in adäquater Dosierung und so lange, wie sie zur Schmerzlinderung benötigt werden. „Mit regelmäßiger Kontrolle der aktuellen Schmerzsituation können die erreichten Verbesserungen erkannt und die Medikamente entsprechend in der Dosierung angepasst werden“, so Dr. Stromer. Die Schmerztherapie muss auch bei geriatrischen Patient*innen multimodal sein, also um nicht-medikamentöse Therapieverfahren ergänzt werden. Besonders wichtig ist ein körperliches Training, das hinsichtlich Häufigkeit und Leistungsfähigkeit angepasst werden muss. Zudem sollten auch psychologische Maßnahmen zum Einsatz kommen. Hierzu gehören zum Beispiel Entspannungsverfahren und Hilfen zur Bewältigung des Schmerzes. „Damit wird die Aufmerksamkeit gezielt vom Schmerz abgezogen und auf positive Erlebnisse gerichtet, um die Lebensqualität zu fördern“ empfiehlt die Expertin.

Herausforderung Demenz

Eine besondere Herausforderung ist die Schmerztherapie bei dementen Patient*innen. „Bei geringer kognitiver Beeinträchtigung ziehen sich die Patent*innen eher zurück und verneinen vorhandene Schmerzen. Bei fortgeschrittener Demenz artikulieren sie hingegen ihre Schmerzen häufig in Form von zunehmender Aggressivität. Dann ist besondere Aufmerksamkeit gefordert, da eine inadäquate Schmerztherapie auch die Demenz weiter verschlechtert kann“, warnt Dr. Stromer. Demente Patient*innen können zudem oft nicht mehr sagen, dass es weh tut. Vielfach lässt nur ihr Verhalten auf Schmerzen schließen – „etwa, wenn sie die Beine wegziehen, wenn diese berührt werden“, erklärt Dr. Stromer. Zeigt die Schmerztherapie Wirkung, so ändert sich dieses Schutzverhalten.

Wahl des richtigen Opioids bei starken Schmerzen

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Zur Linderung starker Schmerzen stehen älteren Patient*innen geeignete Opioide zur Verfügung. Ihr Organismus muss sich aber erst allmählich an die Medikamente gewöhnen. „Es wird daher zunächst unterdosiert und die Dosierung nach und nach bis zu einer schmerzlindernden Menge gesteigert“, sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt. Durch das schrittweise Vorgehen nach dem Prinzip „start low – go slow“ können Nebenwirkungen der Opioide wie Benommenheit und Gleichgewichtsstörungen hintangehalten werden und somit auch die Gefahr von Stürzen und Knochenbrüchen. „Buprenorphin ist das einzige Opioid, das das sturzassoziierte Frakturrisiko nicht erhöht, da es transdermal appliziert wird, langsam an- und abflutet und kontinuierlich seinen Wirkstoff freisetzt. Aufgrund seines guten Sicherheitsprofils gilt es neben Hydromorphon als Opioid erster Wahl zur Behandlung starker chronischer Schmerzen im höheren Alter“, erklärt Prof. Likar. Morphin hingegen sollte bei alten Menschen nicht mehr verwendet werden, da bei Niereninsuffizienz der aktive Metabolit akkumulieren und zu massiven Nebenwirkungen führen kann.

Bei bis zu 95 Prozent der älteren Patient*innen, die mit Opioiden behandelt werden, tritt als Nebenwirkung Obstipation auf. „Das Problem der Verstopfung kann bei einer klugen Kombination der Opioide mit Laxanzien und sogenannten ,peripher wirkenden Opioid-Rezeptoren-Antagonisten (PAMORA)‘ gut verhindert oder vermindert werden. Auch die Nebenwirkungen der erhöhten Risiken für Delir und Übelkeit sind mit der Gabe entsprechender Begleitmedikamente gut in den Griff zu bekommen“, empfiehlt Prof. Likar.

Bericht: Dr. Stefan Wolfinger

Quelle: Schmerz Nachrichten 1b/2020: Schmerzen und Schmerztherapie im Alter: Besonderheiten und Empfehlungen: www.pains.at/sonderpublikationen/sn-1b-2020-schmerzen-und-schmerztherapie-im-alter-besonderheiten-und-empfehlungen/

Erscheint in den Schmerz Nachrichten 1/2022


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