Schmerzambulanzen: Angebot rückläufig
Zusammenfassung
Ziel der Befragung der ärztlichen Leiter:innen aller anästhesiologischen Abteilungen Österreichs war es, den postpandemischen Ist-Versorgungszustand 2022 der österreichischen Schmerzambulanzen zu erheben und dessen Veränderung in den letzten Jahren aufzuzeigen. Zum Erhebungszeitpunkt (2022/2023) waren 51 Schmerzambulanzen im Betrieb, jedoch nur sieben davon im Vollzeitbetrieb. Im Vergleich zu 2014 gingen somit 10 Ambulanzen im Vollbetrieb verloren. Das zeigt eine Diskrepanz zwischen der Empfehlung der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) und der Versorgungsrealität von chronischen Schmerzpatient:innen in Österreich.

von Univ.-Prof. Dr. Andreas Sandner-Kiesling, Klinische Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin II, Univ. Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Graz
Referenz
Dieser Beitrag fasst wesentliche Erkenntnisse der besprochenen Statuserhebung zusammen. Eine ausführliche Darstellung aller Detailergebnisse wurden in einem wissenschaftlichen Artikel verarbeitet und in der Fachzeitschrift Der Schmerz publiziert: Hammer S, Krawczyk A, Sandner-Kiesling A, et al. Statuserhebung der österreichischen Schmerzambulanzen 2023 – Einfluss der COVID 19-Pandemie auf die schmerzmedizinische Versorgung. Der Schmerz. 2025. https://doi.org/10.1007/s00482-025-00871-z
Hintergrund
Laut einem Bericht der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) von 2020 leidenzwischen1,5 und 1,8 Mio. Menschen in Österreich unter chronischen Schmerzen, Tendenz steigend [1].
Die Behandlung langdauernder und starker chronischer Schmerzen findet überwiegend in Krankenhäusern mit eigens dafür eingerichteten Schmerzambulanzen statt. Diese sind nahezu ausschließlich unter anästhesiologischer Leitung. Eine multimodale schmerztagesklinische Behandlung, die sich als optimale Form der Behandlung chronischer Schmerzen und zur Wiedererlangung der Funktionalität der Betroffenen in der Literatur etabliert hat, wird derzeit nur im Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und in Wien angeboten [2–4].
2015 existierten ca. 44 spezielle Schmerzambulanzen in Österreich, wobei es zu 9 Schließungen inden3 Jahrendavor kam. Selbst damals wären mehr als doppelt so viele Schmerzambulanzen notwendig gewesen, um eine adäquate Versorgung der oben beschriebenen Anzahl an österreichischen Schmerzgeplagten zu ermöglichen [5–7]. Ein weiterer Einschnitt erfolgte ab dem Jahr 2020 in Folge der COVID-19- Pandemie [8].

Ergebnisse
Die Umfrage wurde im Herbst 2022 gestartet und im Mai 2023 abgeschlossen. Es antworteten 92 Vertreter:innen der 109 kontaktierten Kliniken (Rücklaufquote: 84 %).
Vondiesen92Klinikenbetreibenaktuell 51 (55%) eine Schmerzambulanz, 12 davon in Wien, 9 in der Steiermark (mit 0,71 pro 100.000 EW die höchste Dichte – siehe Abb. 1), 8 in Oberösterreich, 6 in Niederösterreich, 5 in Tirol, 3 in Salzburg und je 2 in Vorarlberg und Burgenland.

Nur 7 von 51 (14 %) bieten einen Vollzeitbetrieb mit 40 Wochenstunden an. Zwei Schwerpunktkrankenhäuser berichteten von einer Steigerung der Öffnungszeiten ihrer Schmerzambulanzen.
Seit der letzten Umfrage im Jahr 2014 schlossen weitere 9 Krankenhäuser ihre Schmerzambulanzen. Im direkten Vergleich zur Umfrage 2014 schloss jede 13. Schmerzambulanz der befragten knapp 100 Krankenhäuser (7,5% im Vergleich 2003 zu 2014). Als Gründe hierfür wurden Einsparungen von Personalressourcen, Mangel an Zeitressourcen, fehlende Akzeptanz im Team/Krankenhaus und eine zu kleine Abteilung beschrieben.
Die durchschnittliche Wartezeit für Patient:innen mit chronischen Schmerzen liegt laut unseren Daten bei 27 bzw. 28 Tagen in Basis- und Schwerpunktkrankenhäusern.
Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand
Basierend auf der geschätzten Anzahl an Schmerzpatient:innen wurde der Bedarf an Schmerzambulanzen errechnet (Richtwert: 2400 Patient:innen im Jahr pro vollzeitbetriebene Schmerzambulanz). Basierend auf Wochenbetriebszeiten der 51 Schmerzambulanzen wurde die Anzahl der „vollzeitbetriebenen“ Schmerzambulanzen errechnet. Es zeigt sich, dass in Österreich 51,3 Schmerzambulanzen fehlen. Dies würde bedeuten, dass es für 70% der chronischen Schmerzpatient: innen keine Versorgung durch eine interdisziplinäre Schmerzambulanz gibt (siehe Tab. 1).

Multimodales Therapieangebot
Bei der Fragestellung nach einzelnen Therapieoptionen gaben 74% der befragten Einrichtungen an, orale medikamentöse Therapie durchzuführen. An zweiter Stelle wurden invasive regionale Single-shot-Verfahren genannt (55%).
Eine gezielte Frage nach der Durchführung einer multimodalen Schmerztherapie bestehend aus VertreterInnen der Ärzteschaft, Physio- und Psychotherapie/ Psychologie, ergänzt durch Pflege, ErgotherapeutInnen und anderen Berufsgruppen bieten laut unseren Daten nur 3 Krankenhäuser an. Im Freitext-Feedback wünschte sich die Mehrheit der Teilnehmer:innen jedoch mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Natürlich kann in Frage gestellt werden, welche Form an multimodaler Schmerztherapie die mehrfach beschriebenen 20% der chronischen Schmerzpatient:innen benötigen: Muss es eine intrahospitale Schmerzambulanz sein, oder kann dies im niedergelassenen Bereich, z. B. über die Allgemein- oder Fachmediziner:nnen, organisiert werden? Eine Evaluierung über die Notwendigkeit der Einbindung in eine multimodale Schmerzambulanz ist hierfür dringend notwendig, sodass Patient:innen mit Tumorschmerzen, neurologischen oder orthopädischen Krankheitsbildern, zuerst anderen Therapieformen wie palliativer Therapie bzw. einer kausalen Behandlung zugeführt werden können [9].
Bedenklich scheint jedenfalls die Häufigkeit von Regionalanästhesien bei 55% der befragten Kliniken, was eine hohe Zahl an invasiven Interventionen darstellt. In der multimodalen Schmerztherapie werden diese Verfahren stets zurückhaltend und unter strenger Indikationsstellung durchgeführt. Es ist zu befürchten, dass durch die hohe Anzahl von diesen Interventionen, ohne Einbindung in ein multimodales Therapiekonzept, die Chronifizierung der Schmerzpatient:innen verstärkt werden könnte. Um dies zu verhindern, wäre es im Sinne der Patient: innen, invasive Verfahren nur im Sinne der multimodalen Schmerztherapie oder nach Einholung einer „second opinion“ einzusetzen. Ob dieser Schwenk von einer multimodalen zur invasiven Schmerztherapie nur der Personalnot nach der COVID- 19-Pandemie zugeordnet werden kann, ist aus den Daten nicht ersichtlich. Die Tendenz ist jedoch aus Sicht chronifizierter Schmerzpatient:innen sehr bedenklich.
Eine moderne multimodale, interdisziplinäre Schmerztherapiebaut auf eine ausgewogene Mischung aus primär konservativen ärztlichen, physio- und psychotherapeutischen Maßnahmen auf. Die beiden letzteren wurden in unserer Umfrage deutlich seltener genannt, was die leitlinienkonforme Behandlungsqualität von chronischen Schmerzpatient:innen in Österreich in Frage stellt.
Ausblick
Unsere Ergebnisse bestätigen die aktuelle Tendenz zur sich fortsetzenden Reduktionen der Existenz, Öffnungszeiten bzw. multimodalen schmerztherapeutischen Angebote in Österreich. Gut 70% der österreichischen schmerzgeplagten Bevölkerung fehlt die Möglichkeit zur zeitgerechten und leitlinienkonformen Behandlung. Politik, die Krankenkassen, die Krankenanstaltenträger sowie die Krankenhausführung sind gefordert, diesen höchst bedenklichen Trend zu stoppen und rasch Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Literatur
- Österreichische Schmerzgesellschaft. Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) startet 19. Österreichische Schmerzwochen: Zentrales Thema Schmerzprävention (Internet). Österreichische Schmerzgesellschaft. 2020. https://www.oesg.at/upload/presse/gesammelte_pressemitteilung_ zu_den_19._sw_2020.pdf.
- Arnold B, Brinkschmidt T, Casser HR, Gralow I, Irnich D,Klimczyk K, et al. Multimodal pain therapy: principles and indications. Schmerz Berl Ger. 2009;23(2):112–20.
- Kaiser U, Sabatowski R, Azad SC. Multimodal pain therapy. Current situation. Schmerz Berl Ger. 2015;29(5):550–6.
- Nagel B, Pfingsten M, Brinkschmidt T, Casser HR, Gralow I, Irnich D, et al. Structure and process quality of multimodal pain therapy. Results of a survey of pain therapy clinics. Schmerz Berl Ger. 2012;26(6):661–9.
- Bohuslav W. Krankenanstalten in Österreich (Internet) https://www.sozialministerium.at/dam/ jcr:0a2c1fb9-68c3-4355-bf22-ff0d11c0186e/KAVerzeichnis% 202023-04-27.xlsx.
- Jaksch W. Schmerztherapeutische Versorgungsdefizite in Österreich. Schmerz. 2015;29:593–4.
- Jaksch W, Likar R, Folkes E, et al. Qualitätssicherung der schmerzmedizinischen Versorgung in Österreich. Wien Med Wochenschr. 2017;167:349–58.
- Lynch ME, Williamson OD, Banfield JC. COVID-19 impact and response by Canadian pain clinics: a national survey of adult pain clinics. Can J Pain. 2020;4(1):204–9.
- Treede RD, Rief W, Barke A, Aziz Q, Bennett MI, Benoliel R, et al. Chronic pain as a symptom or a disease: the IASP Classification of Chronic Pain for the International Classification of Diseases (ICD-11). Pain. 2019;160(1). https://journals.lww.com/pain/fulltext/2019/01000/chronic_pain_as_ a_symptom_or_a_disease__the_iasp.3.aspx.
- Endel G, Grögl-Aringer G, Dorda W. Schmerzversorgung in Österreich. Soz Sicherh. 2013;(1):24–36. 11. Kayser H, Thoma R, Mertens E, et al. Struktur der ambulanten Schmerztherapie in Deutschland. Schmerz. 2008;4(22):424–32.
erscheint in SCHMERZ NACHRICHTEN 1/2025